Foto: Kirill Bashkirov
Der Komponist Ming Tsao schafft aus einer Fokussierung auf die inhärenten Qualitäten von Klängen heraus - in seinen eigenen Worten ihre „Materialität“ - Musik mit einer ganz eigenen Sinnlichkeit. Mit seinem hoch präzisen Kompositionsstil, der von extremer formaler Strenge geprägt ist, entwirft er eine neue Konzeption für das Lyrische in der Musik unserer Zeit: Sie umfasst Brüche und vielfältige Perspektivwechsel, die unsere moderne Erfahrung hinterfragen.
Viele Werke Ming Tsaos entspringen gleichermaßen seiner kritischen und tiefgründigen Analyse westlicher klassischer Traditionen und seiner Verbundenheit mit traditioneller chinesischer Musik. Das Format, in dem er diese Interessen zusammenführt, ist immer öfter die Oper. Aus zwei separaten Werken besteht seine zweiaktige Kammeroper Prospero’s Garden (2009-2015): Das von der Staatsoper Stuttgart in Auftrag gegeben Werk Die Geisterinsel, 2012 uraufgeführt, ist eine Überarbeitung von Johann Rudolph Zumsteegs gleichnamiger Oper über Shakespeares Drama Der Sturm. Mirandas Atemwende, 2015 in Berlin uraufgeführt, nimmt Schönbergs Erwartung als Ausgangspunkt einer expressionistischen Erkundung des Charakters. Aktuell komponiert Ming Tsao ein großformatiges Musiktheaterwerk, das die bedeutendste Kunqu Oper aus der chinesischen Ming Dynastie, Mudan Ting (Der Pfingstrosen-Pavillon?), neu erfindet.
Ming Tsaos Werke wurden von Ensembles wie dem Arditti Quartet, dem ELISION Ensemble, dem Ensemble ascolta, dem ensemble recherche, dem Ensemble KNM Berlin und dem Ensemble SurPlus auf Festivals wie den Donaueschinger Musiktagen, MaerzMusik Berlin, den Darmstädter Ferienkursen, Wien Modern und den Wittener Tagen für neue Kammermusik aus der Taufe gehoben. In den letzten Jahren kamen unter anderem zwei Werke für großes Ensemble zur Uraufführung: Refuse Collection (2017), eine Reaktion auf das Oeuvre des französischen Filmemacher-Paars Straub-Huillet, sowie Plus Minus (2012-13), die erste vollständige Umsetzung von Stockhausens gleichnamiger offener Komposition.
Ming Tsao wurde 1966 in Berkeley, Kalifornien geboren. Er lernte Violine und Bratsche, bevor er nach China reiste, um in Suzhou bei dem berühmten Virtuosen Wu Zhao-ji das Spiel auf der bundlosen chinesischen Griffbrettzither Guqin zu studieren. An seine Studien in Komposition am Berklee College of Music in Boston und in Ethnomusikologie an der Columbia University in New York schloss er ein Studium der Logik, Philosophie und Mathematik an. Seinen Ph.D. in Komposition erwarb er an der University of California in San Diego als Schüler von Chaya Czernowin und er studierte privat mit Brian Ferneyhough. Nachdem er von 2009 bis 2017 Professor für Komposition an der Universität Göteborg war, lehrt er aktuell als Gastprofessor für Komposition an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
Eine Auswahl seiner Werke findet sich auf der Porträt-CD Pathology of Syntax (Mode Records, 2014); beim Label Kairos Music sind zudem Aufnahmen von Plus Minus und Die Geisterinsel erschienen.