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Hinter den bekannten lindgrünen Notenbänden aus dem Hause Peters verbirgt sich eine faszinierende und wechselvolle, mitunter tragische, aber auch inspirierende Geschichte. Wir freuen uns, dieses Jahr den 150. Geburtstag der grünen Notenreihe feiern zu können, die mit ihrem Titel »Edition Peters« schnell zum Synonym für den Verlag wurde – ein guter Anlass, einen Einblick in die Firmenhistorie zu gewähren.
Gegründet wurde der Verlag im Jahr 1800 in Leipzig, das sich als Heimat des Gewandhausorchesters und Schaffensort von Bach, Mendelssohn, Schumann, Wagner und Reger rasch zu einer Musikstadt von internationalem Rang entwickelte. Auch 217 Jahre später hat das Leipziger Kulturleben nichts von seiner Qualität und Vielfalt eingebüßt, und das Bewusstsein für die musikgeschichtliche Bedeutung der Stadt ist allerorts spürbar. Seit dem 19. Jahrhundert war die Stadt zudem ein Zentrum des deutschen Verlags- und Druckereiwesens, und viele technische Neuerungen in diesen Bereichen nahmen von hier ihren Ausgang. Dieser Tradition ist Edition Peters bis heute verpflichtet.
In den ersten Jahrzehnten seiner Existenz erlebte der Verlag C. F. Peters mehrere Eigentümerwechsel und Umzüge, unter anderem in das ehemalige Wohnhaus von Felix Mendelssohn Bartholdy. Stabilität brachte dann 1863 der neue Inhaber Max Abraham, ein bemerkenswerter Geschäftsmann und Visionär. Unter seiner Leitung führte Peters als erster Musikverlag überhaupt das sogenannte Schnelldruckverfahren mit Rotationspressen im Notendruck ein, wodurch sich die Herstellungskosten drastisch reduzierten.
Die neue musikalische Universalbibliothek »Edition Peters« mit ihren typografisch und editorisch hochwertigen Ausgaben wurde 1867 vorgestellt und war für ein Fünftel des Preises bisheriger Notendrucke erhältlich. Damit wurden Musikalien erstmals für ein breites Publikum erschwinglich – mit Auswirkungen auf den weltweiten Notenmarkt. Schon am ersten Tag lagen 100 Titel vor, und wie es sich für einen Leipziger Verlag gehört, bildete den Auftakt J. S. Bachs Wohltemperiertes Klavier unter der Nummer EP1.
Der Erfolg von Abrahams verlegerischer Vision war durschlagend. Die »grüne Reihe« aus dem Hause Peters erzielte für einen Musikverlag nie dagewesene Verkaufszahlen, und zwar buchstäblich in aller Welt. Dank Abrahams charakteristischer Zielstrebigkeit wuchs die Zahl der Veröffentlichungen rasch an, und schon im Jahr 1877 erschien EP 1740a, Mendelssohns Lieder ohne Worte. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte kamen Werke aus allen Bereichen des Standardrepertoires hinzu, sodass Czernys Klavierübungen ebenso im grünen Einband erhältlich waren wie das Liedschaffen von Hugo Wolf oder Meisterwerke der Chormusik.
Zugleich war Max Abraham überaus großzügig und besaß einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Als er die Veröffentlichung der gesammelten Klavierwerke von Robert Schumann plante, weil deren urheberrechtlicher Schutz kurz vor dem Auslaufen stand, wandte er sich schriftlich an die Witwe des Komponisten, um ihr eine stattliche finanzielle Zuwendung anzubieten. Dass sie nicht an der Musik ihres Mannes verdienen sollte, empfand Abraham als ungerecht. Dankbar nahm Clara Schumann das Angebot an.
Dies ist nur ein Beispiel für das wohltätige und gemeinnützige Wirken, dem sich der Verlagseigentümer verpflichtet sah. Doch Abrahams Philosophie kam auch seinen Mitarbeitern zugute: So führte er für die Belegschaft einen von ihm selbst großzügig bezuschussten Pflichtsparplan ein, legte den Grundstein für eine betriebliche Altersversorgung und leistete Beiträge zu den Steuerzahlungen seiner Angestellten. In den 1880er Jahren legte er zudem als einer der ersten Arbeitgeber in Leipzig einen Jahresurlaub fest und zahlte einen Weihnachtsbonus an bedürftige Mitarbeiter und deren Familien.
1874 bezog der Verlag einen prächtigen Neubau in der Leipziger Talstraße, entworfen vom Architekten des Bayreuther Festspielhauses, Otto Brückwald. Schnell wurde das Wohn- und Geschäftshaus Talstraße 10 zu einem kulturellen Dreh- und Angelpunkt der Stadt. Viele Komponisten der Zeit waren regelmäßige Besucher bei Max Abraham und seinem Neffen Henri Hinrichsen, der später als Miteigentümer in die Firma eintrat. Im repräsentativen Speisezimmer der Familie im Obergeschoss entfaltete sich manch anregendes Gespräch, und im Salon lud man zu musikalischen Abenden. Beide Räume wurden nach der Wende aufwändig renoviert und beherbergen heute die Grieg-Begegnungsstätte.
Eine historisch einzigartige Beziehung war dabei die Verbindung von Max Abraham und Henri Hinrichsen zu Edvard Grieg, der Abraham als seinen Ziehvater bezeichnete. Ihr enges und herzliches Verhältnis fand seinen Niederschlag in einer regen Korrespondenz zwischen Verleger und Komponist, die mehr als 400 Briefe umfasst. Abraham sorgte dafür, dass Grieg sein Leben lang finanzielle Sicherheit genoss und sich ganz auf das Komponieren konzentrieren konnte. Bei seinen häufigen Besuchen in Leipzig wohnte Grieg in der Talstraße 10 und komponierte dort Teile seines Peer Gynt. Gemeinsam mit Max Abraham – und später mit Henri Hinrichsen und dessen Familie – machten Edvard Grieg und seine Frau Nina Urlaub in vielen Ländern Europas. Abraham übernahm auch die Kosten für das Grundstück im norwegischen Troldhaugen, auf dem Grieg sich das lang ersehnte eigene Heim erbauen konnte. Sämtliche Werke von Grieg erschienen bei Peters und bescherten sowohl dem Verlag als auch dem Komponisten außergewöhnlichen Erfolg.
Noch zum 100. Geburtstag des Verlages im Jahr 1900 schrieb Grieg an Abraham, die langjährige Zusammenarbeit steige ihm »wie ein Gesamtbild für mein inneres Auge auf, und dieses Bild zeigt mir aufs Neue die tiefe Dankbarkeit für das Haus C. F. Peters und dessen lieben Chef, von welcher ich bis zu meinem letzten Hauch immer durchdrungen sein werde. […] Mit den freundschaftlichsten Grüßen, auch von meiner Frau, Ihr treu ergebener Edvard Grieg«. Leider erreichten diese Zeilen ihnen Adressaten nicht mehr, denn Abraham verstarb 69-jährig im Dezember des Jahres.
»wie ein Gesamtbild für mein inneres Auge auf, und dieses Bild zeigt mir aufs Neue die tiefe Dankbarkeit für das Haus C. F. Peters und dessen lieben Chef, von welcher ich bis zu meinem letzten Hauch immer durchdrungen sein werde. […] Mit den freundschaftlichsten Grüßen, auch von meiner Frau, Ihr treu ergebener Edvard Grieg«
Auch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts florierte die Firma ungebrochen unter Leitung von Abrahams Neffen Henri Hinrichsen. Die Zahl der grünen Bände wuchs stetig, und im Jahr 1933 brachte der Verlag mit Bachs Zweistimmigen Inventionen als erster eine Urtext-Ausgabe heraus. Mit Mut zum Neuen sicherte sich Hinrichsen die Rechte an Arnold Schönbergs Fünf Orchesterstücken, Mahlers 5. und 6. Sinfonie sowie an den frühen Tondichtungen von Richard Strauss.
Zugleich führte Hinrichsen das philanthropische Wirken seines Onkels fort und spendete beträchtliche Summen für wohltätige und kulturelle Zwecke in Leipzig und darüber hinaus. Dann aber nahm das Schicksal eine tragische Wendung. Nach Beginn der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten war der Peters-Verlag eine der ersten Firmen, die im Zuge der »Arisierung« zwangsverkauft wurden. Den ältesten beiden Söhnen der Familie gelang die Flucht ins Ausland – Max Hinrichsen ging nach London, wo er 1938 die heutige Firma Peters Edition Ltd gründete, sein Bruder Walter ließ sich in New York nieder und rief C. F. Peters Corporation ins Leben.
Elf Mitglieder der Familie, darunter Henri Hinrichsen, kamen im Holocaust ums Leben. Eine überlebende Angehörige trat bei den Nürnberger Prozessen als Zeugin auf und berichtete von den grausamen Details ihrer Haftzeit in fünf verschiedenen Konzentrationslagern.
Nach dem Krieg – Leipzig stand nun unter russischer Besatzung – wurde C. F. Peters »volkseigener Betrieb«. Ein westdeutsches Unternehmen entstand 1951 in Frankfurt am Main. Unterdessen setzten die Firmen von Max und Walter Hinrichsen in London und New York alles daran, das Erbe der Familie zu wahren. In London wurde ein zermürbender Prozess gegen den Verlag Novello & Co. geführt, der nicht anerkennen wollte, dass die Rechte am Peters-Katalog mit der Ermordung von Henri Hinrichsen in Auschwitz an seinen Sohn Max übergegangen waren. Das Verfahren resultierte in einer wegweisenden Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichthofs zugunsten der Familie Hinrichsen. Wagemutig nahm Walter Hinrichsen in New York schon in den 1950er Jahren so kontroverse Komponisten wie John Cage oder George Crumb unter Vertrag, und nach dem Krieg widmete er sich als einer der ersten US-Verleger gezielt dem japanischen Markt.
Inmitten all dieser Wirren und Widrigkeiten war die »grüne Reihe« ununterbrochen im Druck und wurde kontinuierlich erweitert. Im Jahr 2010 kam es schließlich zur Gründung der Edition Peters Group, die alle Einzelfirmen unter einem gemeinsamen Dach und in den Händen der gleichen Eigentümer zusammenführte – der gemeinnützigen Hinrichsen Foundation in London sowie der Erben von Walter Hinrichsen in den USA. Im Oktober 2014 wurde die Frankfurter Niederlassung geschlossen und der deutsche Sitz von Edition Peters kehrte in die Heimat Leipzig und das aufwändig renovierte Stammhaus in der Talstraße 10 zurück.
Im Mittelpunkt des diesjährigen runden Geburtstages steht nicht nur die »grüne Reihe« selber, sondern auch die damit verbundenen technischen Neuerungen. Nach wie vor ist die Edition Peters der Innovation verpflichtet – mit nicht weniger ambitionierten Zielen als damals. Dank der wegweisenden Technologie der App Tido Music sind die Klassiker unseres Katalogs nun als digital erweiterte Ausgaben erhältlich und machen dieses Repertoire der nächsten Generation von Musikerinnen und Musikern zugänglich. Mit der Auftaktreihe Piano Masterworks steht dabei auch auf Tido Music wiederum die Klaviermusik am Anfang. Diesmal handelt es sich jedoch um viel mehr als reine Notenausgaben. Hinzu kommen Video-Meisterklassen und -Einspielungen mit führenden Interpreten und Experten, hochwertige Audioaufnahmen, ausführliche Hintergrundinformationen zu den Komponisten und ihren Werken sowie praxisorientierte Übefunktionen – und das alles an einem Platz. Das Notenbild fungiert dabei als Bindeglied, das all diese verschiedenen Aspekte miteinander verknüpft, sodass Musik erstmals als ganzheitliches Gebilde mit all ihren Bestandteilen erlebbar wird.
Genau wie vor 150 Jahren setzen wir dabei auf eine rasch wachsende Auswahl an Werken: Bis Ende des Jahres sind 100 Werke geplant – und das ist erst der Anfang … Mehr dazu finden Sie unter www.tidomusicapp.com. Dort werden laufend neue Inhalte ergänzt, in Kürze auch aus dem Programm anderer Verlage.
Linda Hawken ist Geschäftsführerin von Edition Peters Europa. Sie studierte Trompete und Dirigieren und ist seit 20 Jahren im Unternehmen beschäftigt. Mittlerweile ist sie hauptsächlich im Haus Talstraße 10 in Leipzig tätig; regelmäßige Besuche führen sie zudem ins Londoner Büro.